Die Abkehr von der jugendlichen Gesellschaft ist in Deutschland vollzogen. Die Deutschen sind durchschnittlich 46,2 Jahre alt und es rücken zu wenige Neugeborene nach. Die Revision of World Population Prospects 2015 der UN bringt es an den Tag: Um die Bevölkerungsgröße in Europa konstant zu halten müsste jede Frau durchschnittlich 2,1 Kinder zur Welt bringen, was aber nicht passiert. Laut Zeit online vom 17. Oktober 2016 steigt die Geburtenrate in Deutschland zwar an, von 1,47 auf 1,5 Kinder. Dabei sind aber auch Frauen mit ausländischer Staatsangehörigkeit eingerechnet, die durchschnittlich 0,5 Kinder mehr zur Welt bringen und die damit für einen großen Teil des Anstiegs sorgen. Nicht nur Politik und Gesellschaft müssen sich mit diesen Fakten arrangieren, auch wir Wirtschaftsteilnehmer müssen unsere Dienstleistungs- und Warenangebote auf den Prüfstand stellen. Die alternde Gesellschaft hat disruptives Potential, sie verändert Systeme und Infrastrukturen grundlegend. Auch in der Arbeitswelt werden die Einflüsse immer spürbarer werden. Die typische Dreiteilung Jugend – Arbeit – Rente wird sich nicht halten. Die Alten sind länger fit, sie können und wollen länger arbeiten, was den Vorteil hat, dass zukünftig mehr Erfahrung länger in den Unternehmen verbleibt. Dieser Un-Ruhestand wird sich als Gegenmodell zur Rente festigen.
Jede folgende Generation ist kleiner als die vorige. Es liegt klar auf der Hand, dass silber in den kommen Jahren die beherrschende Haarfarbe der Gesellschaft sein wird. Die ersten Baby-Boomer der 50er und 60er Jahrgänge werden 2017 62 Jahre alt sein, und in zwanzig Jahren werden sie sich komplett aus der Erwerbstätigkeit verabschiedet haben. Als Marktteilnehmer kommen wir nicht umhin, die Silver Society in den Fokus unserer strategischen Überlegungen zu stellen. Diese neue Generation der Alten hat völlig andere Ansichten über das Alter als ihre Eltern. Sie fühlen sich gesünder und fitter als die Generationen vor ihnen, und sie haben ein ganz anderes Verständnis von Freizeit, Genuss und Lebensqualität. Alle mit der zunehmenden Alterung der Gesellschaft verbundenen Veränderungen stossen in der Realität aber auf starre Strukturen. Es fehlt an Denkmodellen, die sich der neuen Lebensformen annehmen, um den veränderten Anforderungen gerecht zu werden. Das Altern wird gegenwärtig nicht als Chance für Veränderungen genutzt, sondern zu einem Problem verengt. Es liegt auch an uns Unternehmern diese Sichtweise zu ändern.
Ich hatte in meinem vorgegangenen Post schon über die gesundheitlichen Aspekte der Gesellschaftsalterung geschrieben. Ich drehe das jetzt mal ins Positive und nehme mich der Silver Potentials an. Diese Alten haben Spaß an der Arbeit, an Selbstverwirklichung und wollen nicht ans aufhören denken. Sie haben keine Lust, zuhause auf dem Sofa zu sitzen, den Rasen zu mähen oder die Rosen zu stutzen. Sie stürzen sich mit voller Kraft in Unternehmensgründungen, gründen neue Familien, gehen zur Uni und entdecken neue Interessen die sie voll ausleben. 2014 waren beispielsweise noch 14 Prozent der 65-69-jährigen noch erwerbstätig, mehr doppelt so viele wie zehn Jahre zuvor (6 Prozent). Sich zur Ruhe setzen ist nur noch eine Option von vielen. Das wird bei einem gewissen Anteil von Alten einer kleinen Rente geschuldet sein, bei vielen anderen aber der puren Lust an der Selbstverwirklichung. Diese Lust hört nicht auf zu existieren, nur weil ein Mensch in der herkömmlichen Betrachtung „alt“ ist. Sie lösen Entwicklungen aus weil sie in großer Menge da sind. Das wird jeden Handwerker, den Handel, die Dienstleister und die Industrie heruasfordern, denn vieles von dem was wir heute im Markt anbieten brauchen die Silver Societisten nicht und wollen es auch gar nicht (mehr).
„Die“ Alten gibt es nicht. Sie lassen sich nicht über einen Kamm scheren, nur weil sie weiße Haare haben. Sie sind nicht als homogene Zielgruppe zu begreifen, zu beschreiben und anzusprechen. Angebote für Senioren – schon alleine das Wort stellt jedem Silberschopf die Nackenhaare hoch – aus der Gießkanne wird erfolglos bleiben. Die Szenen der Silver Society sind genauso gesplittert wie die der Jugendlichen, aber sie wollen anderes angesprochen werden. Die Silver Society wird die neue Normalität, darauf müssen wir uns einstellen. Eben zu begehende Duschen sind heute völlig normal, Haltegriffe an der Badewanne und Treppchen zum leichteren Einstieg werden selbstbewusst angenommen, Aussteigegriffe am Auto erfreuen sich allgemeiner Beliebtheit – die Liste lässt sich problemlos fortsetzen. Wo reihen wir uns ein? Was setzen wir Friseure und andere Gewerke dem Trend entgegen, wie passen wir uns an? Fakt ist jedenfalls, dass sich Unternehmen ins Abseits stellen, wenn sie sich über die Bedürfnisse der Silver Society keine Gedanken machen und nicht mit zielgruppengerechten Lösungen punkten.