Was macht Corona aus uns? - Peter Gress
Corona Welt

Was macht Corona aus uns?

Wenn ich meine/unsere wirtschaftliche Existenz vom Corona-Konto abziehe und die derzeitige Situation, soweit es mir möglich ist, neutral betrachte, muss sich klar sagen, dass sich die politische Führung sehr überzeugend präsentiert. Es schält sich langsam eine Kontur heraus. Ich sage das natürlich auch vor dem Hintergrund, dass wir Friseure ab dem 4.5.2020 die Chance haben, unsere Betriebe zu retten. Anderen Wirtschaftsbereichen geht es schlechter, die müssen noch durchhalten und es ist nicht garantiert, dass alle Betriebe am Leben bleiben.

Die Furcht vor der ersten Welle

Ich habe immer die Situation im Kopf, die meine Frau zu Beginn des Lockdowns tagtäglich aus der Klinik berichtet hat. Die erste Corona-Welle war derart massiv, darauf konnte unser Gesundheitssystem nicht vorbereitet sein.

Es ist durchaus verständlich, dass die Angst der Politik groß ist, dass eine zweite Welle die Kliniken einfach überrollt und alles wieder zurück auf Anfang gesetzt wird. Das kann niemand von uns wirklich wollen. Wir sehen ja überdeutlich, wie miserabel beispielsweise die Briten oder die Amerikaner auf das Virus vorbereitet waren.

Ich sehe viele Fehler bei uns, aber ich bin selbstkritisch genug zu erkennen, dass ich in meiner Laufbahn auch nicht immer alles zu jeder Zeit richtig gemacht habe. Da können sich wohl alle Unternehmer an die eigene Nase fassen, sofern sie zu selbstkritischer Reflexion in der Lage sind.

Ignoranz rächt sich

„Make America great again“ hat sich bei den Fallzahlen schon mal bewahrheitet. Die Ignoranz des Manns mit der seltsamen Frisur und dem übergroßen Ego rächt sich extrem. Über eine Million Infizierte sind bisher gemeldet.

Der Struwwelpeter von der Insel hat Corona ebenfalls nicht ernst genommen, er konnte letztlich froh sein, dass er die Klinik gesundet verlassen konnte. Auch diese Ignoranz rächt sich, die Briten sind auf dem Weg zur traurigen Spitze. Dabei ist nicht die Zahl der Infizierten das große Problem, sondern die der Sterbefälle, die rasant zunimmt.

In diesem Vergleich ist Deutschland noch gut aufgestellt. Jeder Tote reißt ein Loch in die Herzen der Angehörigen, und es ist schlimm darüber nachzudenken was wäre, wenn es unsere Lieben treffen würde. Jeder von uns könnte der nächste Patient am Beatmungsgerät sein, das wurde mir heute wieder sehr bewusst. Das macht doch wieder etwas demütiger.

Es gibt kein Richtig

Und trotzdem bohrt die Existenzangst immer im Hintergrund. Was ist, was kommt? Das wissen wir nicht. Ich habe aber heute bei der Pressekonferenz eine aufgeräumte Führungsriege gesehen, die zwar auch nicht weiß, wohin die Reise geht.

Aber mal ganz ehrlich: Wolle wir lieber an deren Stelle sitzen? Würden wir es besser machen? Wir können uns natürlich in die Tasche lügen und das behaupten. Aber auch wir unterlägen Zwängen, Spekulationen, schwierigen Berechnungen und Entscheidungsfindungen, unglaublichem Zeitdruck und der Angst, die falschen Entscheidungen zu treffen zwischen Menschenleben schützen und/oder die Republik an die Wand zu fahren. Viele schauen nach Schweden und finden es toll, wie das Land mit der Situation umgeht.

Traurige Hitliste

Das kann man auch anders sehen. Prozentuell gesehen liegen die Schweden weltweit an vierter Stelle der Todesfälle bezogen auf die Zahl der Infizierten. Hier ein (nicht vollständiger) Überblick: Großbritannien (15,7%), Frankreich (14,5%), Italien (13,6%), Schweden (12,3%), Spanien (10,2%), USA (5,9%), Schweiz (5,9%) und Deutschland (4%).

Die Prozentzahlen sagen selbstverständlich nichts darüber aus, wie viele Arbeitslose es aufgrund der Pandemie in den einzelnen Ländern gibt, welchen Schaden die Wirtschaft nimmt und wie die Gesellschaft die Situation verarbeitet.

Wie viele Menschen an der Krise verzweifeln, vereinsamen, sich aus dem Leben zurück ziehen, depressiv werden und vielleicht sogar aus Verzweiflung freiwillig aus dem Leben scheiden, wird (noch) nicht thematisiert.

Schon vor der Corona-Pandemie haben sich beispielsweise im Jahr 2017 mehr als 25 Menschen pro Tag das Leben genommen (Qualle: Statistisches Bundesamt). Ob und um wieviel sich diese Zahl durch Corona erhöht wird sich zeigen.

Fallzahlen gehen zurück

Die Statistik zeigt sehr deutlich, dass die Fallzahlen in Deutschland zurück gehen. Für die Einen ist das ein Zeichen, dass das Leben wieder losgehen kann, für die anderen, und dazu gehören unsere Politiker, ist es ein Zeichen, dass zwar die Richtung stimmt, aber ein Wiederanstieg um (fast) jeden Preis verhindert werden muss.

Die wahnsinnige Summe von über einer Billion Euro neuer Staatsschulden macht einen schwindelig. Es liegt auf der Hand, dass nicht nur wir, sondern auch unsere Kinder, Enkel und vielleicht sogar noch unsere Urenkel daran zu knabbern haben. Aber das ist ein anders Thema.

Eine interessante Zahl ist die der Todesfälle je Millionen Einwohner. Hier erkennt man ganz deutlich, wie gut wir in Deutschland dran sind. Ich erinnere mich noch mit Grausen an die Bilder, als nächtens Hunderte Leichen mit Armee-Lkws durch Bergamo zum Massenbegräbnis gefahren wurden.

Wir müssen es wohl anerkennen, dass die Politik in Deutschland laut Statistiken vorausschauend gehandelt hat. Die wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und individuellen Begleiterscheinungen lasse ich auch hier bewusst außen vor. Die Tendenz aber ist erkennbar.

Wenn wir vernünftig sind können wir erstarkt aus der Krise heraus kommen. Unser Know-how, unser Ideenreichtum, unsere Anpassungsfähigkeit und unsere Konsequenz in der Umsetzung von Maßnahmen werden wahrscheinlich den Unterschied machen. Wenigsten besteht darin meine Hoffnung bis 2025.

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13 Kommentare
Jahns says 30. April 2020

Der Peter hat unsere Stimme für die Vertretung der deutschen Friseure in den Medien – danke für deine wie sehr oft – treffende
aktuelle Ansicht – Marzipan ist bestellt – viel Sonne im Mai für deine Familie / liebe Grüße von der Weser – Christiane und Martin Jahns

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    petergress says 1. Mai 2020

    Liebe Christiane, lieber Martin, ich danke euch für die Sonnen-Wünsche und hoffe, dass ihr die kommende Zeit gut verbringt. Liebe Grüße! Peter

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Peter Schuster says 30. April 2020

Lieber Peter.
Möchte dir absolut beipflichten und eigentlich enttäuscht mich die Ungeduld von vielen, einen rasanteren Ausstieg zu fordern.
Peter, vielen Dank.

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    petergress says 1. Mai 2020

    Moin Peter, die Ungeduld ist verständlich, aber wir müssen tatsächlich aufpassen, dass uns die Situation nicht komplett entgleitet. Wir haben ja gesehen und sehen immer noch, was in anderen Ländern los ist. Das sollten wir uns immer als ausgleichendes Moment vor Augen halten. Bleibt gesund und liebe Grüße. Peter

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Jacqueline Collette says 30. April 2020

Lieber Peter, mit deinen Informationen und Berichten hast du mich die letzten sechs Wochen begleitet und ich bin dankbar dafür. Für deine realistischer Sichtweise der Situation, deine Einschätzungen die du uns so großzügig kund getan hast, deine immer wieder positive Herangehensweisen an all die Restriktionen die uns das Leben als Friseure nicht leichter machen.
Ich möchte mich mit einem Satz von Pina Bausch bedanken: „ Manchmal können wir etwas nur klären, dass wir uns dem stellen, was wir nicht wissen.“
Liebe Grüße, Jacqueline Collette

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    petergress says 1. Mai 2020

    Liebe Jacqueline, was für ein schöner Spruch von Pina Bausch. Der passt super zu dem, den ich als Reaktion auf meinen Artikel von Alexander Becker bekommen habe: „Ein Leben wird vorwärts gelebt, und rückwärts verstanden.“ Bleib optimistisch, das ist das Wichtigste. Liebe Grüße auch an die Familie. Peter

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Richard says 1. Mai 2020

Danke für die interessante Aufbereitung

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    petergress says 1. Mai 2020

    Es war mir ein Bedürfnis. Sehr gerne geschehen.

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Alexander Becker says 1. Mai 2020

Absolut bemerkenswert mit welcher real journalistischen Brise diese Analyse kommuniziert wird! … Die Erkenntnis, dass > „Ein Leben vorwärts gelebt wird und rückwärts verstanden“ < … braucht auch den Geist und eben jene "REFLEKTION". Allein dafür gibt es 100 Punkte. Viele denken das Selbe. Peter Kress schafft wirtschafttlich persönliche Themen für alle verständlich ohne zu diskreditieren, in Worte zu fassen. Eine Stimme aus dem "off" und doch direkt im Herzen der Gedanken!!! … Danke für die Arbeit der brückenbauenden Kommunikation! …

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    petergress says 1. Mai 2020

    Danke für den Spruch: “Ein Leben wird vorwärts gelebt und rückwärts verstanden”. Den nehme ich auf, das trifft den Nagel auf den Kopf. Danke dafür.

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Leuthner Angelika says 1. Mai 2020

Sehr gut , nur schade dass so viele es nicht erkennen ..

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    petergress says 1. Mai 2020

    Es ist natürlich vielschichtiger, als ich das statistisch dargestellt habe. Die menschlichen Abgründe dahinter bleiben verborgen, aber genau das ist das Problem. Die Analyse und Statistik vermischt sich mit individuellem Frust, Ärger und Ängsten und heraus kommt ein emotionaler Mix der keine Lösung bietet. Für den Virus kann nun einmal niemand etwas, er ist eben da und solange wir keinen Impfstoff oder ein Medikament haben, bleibt die Fahrt durch die Coronazeit einem Flug durch den Nebel ohne Autopilot.

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"Empört euch!" - Eine Welle der Empörung schwappt durchs Land says 12. Juni 2020

[…] 8000 Coronatote gegen 25.000 Grippetote oder 50 Millionen Spanische Grippetote? Muss man wegen der „verhältnismäßig wenigen“ Toten ein ganzes Land ruinieren? Da werden unreflektiert Äpfel mit Birnen verglichen. Die Gesellschaft […]

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