Bildung im Handwerk braucht ein Umdenken - Peter Gress

Bildung im Handwerk braucht ein Umdenken

Bis zur Mitte des 18. Jahrhunderts war Kunst Handwerk. Die großen Maler der Geschichte haben bewiesenermassen nicht alle ihre Bilder selber gemalt. In den Malerwerkstätten waren Maler angestellt, wie es eben in einem Handwerksbetrieb üblich war und immer noch üblich ist. Der eine Maler konnte gut Hände malen, ein anderer war perspektivisch gut drauf und wieder andere haben tolle Gesichter gemalt. Kunst war Handwerk und daher kommt auch der Wortstamm – Kunst = können = Kenntnis, Wissen, Meisterschaft. Dazu ein Auszug aus dem Text: Geheimnisse der Maler – Köln im Mittelalter: >…hinter einem solchen Titel können sich auch mehrere Personen einer Werkstatt verbergen. So wiesen die Forscher in zahlreichen Gemälden die Arbeit von mehreren Händen nach. Teils wurde dabei sogar mit Schablonen gearbeitet, um effizienter sein zu können und in Bilderserien eine bessere Wiedererkennbarkeit der dargestellten Personen zu gewährleisten<. Arbeiten wir im Friseurberuf nicht ähnlich? Wir beschäftigen Haarschneider, Coloristen, Visagisten und Styler, jedes Feld ein Spezialgebiet mit hohem handwerklichen und künstlerischen Anspruch. Und alle Bereiche dienen dazu, Menschen schöner zu machen und durch Handwerk Kunst am Kopf entstehen zu lassen. Auch im Friseurberuf ist der Erkennungswert der Arbeit hoch, aber eben schnell vergänglich. Es gibt keine Effizienz steigernden Maßnahmen durch Maschinen, nur durch aufspalten der Produktionsabläufe können wir unsere Zeit optimieren. Hätten wir kein Preislimit für unsere Leistung bräuchten wir diese Optimierung nicht. Das wären schöne Zustände, nicht wahr? Soll, wer Visionen hat, zum Arzt gehen?
Der Begriff Kunst hat heute eher mit Selbstverwirklichung, Vision, Kreativität und Freigeistigkeit zu tun. Sie wird im umgangssprachlichen Gebrauch nicht automatisch mit Handwerk gleichgesetzt, hat aber genau dort ihren Ursprung. Friseure sind Handwerker, Künstler, Visionäre und Freigeister und viele sind fähige Unternehmer, die das Bild des Friseurberufes in Deutschland zum Positiven wenden. Die wichtigste Frage die wir zukünftig lösen müssen ist die Stärkung der intellektuellen Fähigkeiten der Friseur-Nachwuchses. Der überwiegend weibliche Nachwuchs, der früher gerne Barbie-Püppchen gestylt, der großen Puppen mal die Haare geschnitten und dabei festgestellt hat, Friseur wäre doch ein durchaus tauglicher Beruf, der darf gerne zuhause bleiben. Das sind keine Indikatoren für fähigen Nachwuchs. Wir brauchen selbstbewusste, visionäre junge Menschen, für die Leistung kein Fremdwort ist und denen die gewerkschaftlich vorgeschriebene Arbeitszeit links hinten vorbei geht. Denjenigen jungen Menschen, denen die Arbeitszeit von 9 bis 18 Uhr für ihr Können ausreicht, geht irgendwann die Leistung aus, sie werden die Zuträger sein. Diejenigen, die ihre Grenzen erfahren wollen und nach Wissen und Können über den Rahmen hinaus lechzen, werden zu Motivatoren und Moderatoren der Zukunft. Diese jungen Menschen müssen wir gezielt suchen, dafür brauchen wir verbindliche Anforderungsprofile. Vor allem dürfen wir es nicht mehr zulassen, dass jungen Menschen als Putzamseln und lebendige Waschmaschinen missbraucht werden. Klar, das gehört dazu, aber darin besteht nicht der Sinn einer Ausbildung. Und wenn ich das Argument höre: „Ich ziehe mir doch meine Konkurrenz nicht selber her“, dann frage ich mich, ob die oder der ihr Business überhaupt begriffen haben.

Die Schule als Hafen des kreativen Müßiggangs?
Schule leitet vom lateinischen schola ab, und schola bedeutet im Ursprung “freie Zeit”, “Müßiggang”, “Nichtstun”, “Muße”. Die Schule war in früherer Zeit nur wohlhabenden Bürgern, etwa der ägyptischen und griechischen Gesellschaft zugängig. In Europa war die schulische Ausbildung und das Studium in der Hand der Kirche. Bildung war für die Kirche ein wichtiger Baustein zum Machterhalt, sie war eine exklusive Ware, die den Zugang zu begehrten Posten, Macht und Wohlstand ermöglichte. Bezahlt wurde dafür mit Kadavergehorsam, im wahrsten Sinne des Wortes. Immerhin hatte Schule dieselbe Intention wie heute, nur dass sie heute für alle Kinder verpflichtend ist. Kreativität hat viel mit Spiel und Freigeistigkeit zu tun, ich bezweifle aber stark, dass die Schule diesen Zweck erfüllt. Viele Spielelemente finden sich beispielsweise bei Design Thinking, bei der die gestalterische Kraft von Menschen durch den Bau eines fassbaren Prototypen kanalisiert wird. Kreativität braucht immer ein Ziel. Kreativität um der Kreativität willen führt in eine Sackgasse. Also müssen wir die zielgerichtete Kreativität zurück in unsere Unternehmen holen.

Bessere Mitarbeiter
Wir reklamieren ständig, dass wir nicht die richtigen Auszubildenden und nicht die richtigen Fachkräfte finden. Da aber keine anderen da sind, müssen wir eben die nehmen die es gibt. Sollten wir unsere Ausbildung nicht überdenken wenn wir so unzufrieden sind mit den Menschen die wir bei uns arbeiten lassen müssen? Was wäre, wenn wir nicht mehr nach den gültigen Vorbild ausbilden, die uns die Schule vorgibt? Wenn wir beispielsweise die Kreativität über einen alternativen Werkkreis wieder in die Ausbildung zurück holen? Wenn wir Lernen wieder erfahrbarer machen? Wenn wir den jungen Menschen Zeit geben, sich ihr Wissen und Können über den natürlichen Spieltrieb zu holen? Wir können die Verantwortung natürlich wieder und wieder auf die Schule schieben. Aber ich bin es Leid bis zum Stehkragen, mich ständig über das Negative der Situation auszutauschen. Konstruktive Gespräche wären ergiebiger und interessanter.

Dringend gegen wichtig
In vielen großen Unternehmen sind Sabbaticals, Rückzugsräume, Kreativräume schon lange Realität, weil die Unternehmen erkannt haben, dass Menschen denkerischen und spielerischen Freiraum brauchen. Ich stelle für mich fest, dass die freigeistigen Auszeiten zu mehr Kreativität und neuen Zielen führen. Wann gönnt man sich denn schon einmal die Zeit, einfach irgendwohin zu sitzen und in die Welt hinein zu schauen, ohne Mobiltelefon, iPad und andere Segnungen des modernen Lebens? Tut man das, dann sortieren sich die Gedanken, und manche Problemlösung findet sich ganz von alleine. Manchmal liegen die nächsten Schritte so offenkundig auf der Hand, dass ich mich wundere, warum ich darauf nicht schon früher gekommen bin. Oft sieht man die Lösungen nicht, weil man Tag für Tag permanent mit Informationen zugeschüttet wird und dadurch in einen seltsam fremdgesteuerten Handlungszugzwang kommt. Zuerst das Wichtige, dann das Dringende! Dringend ist immer, aber wichtig…?

Burn up the day, burn up the night (I’m not the one to tell you what’s wrong or what’s right, I’ve seen suns that were freezing and lives that were through )…

Jede Führungskraft weiß, dass sie ihre Mitarbeiter nicht verbrennen darf. Was für die Mitarbeiter gilt, gilt für Führungskräfte genauso. Sie dürfen nicht an beiden Seiten brennen, auch sie müssen ihre Kräfte einteilen. Selber mehr zu arbeiten, um die Versäumnisse in der Führungsarbeit auszugleichen, ist der falsche Weg. Zeit zu schaffen, um zu führen ist dagegen die richtige Wahl. Dazu gehört Zeit zur Reflexion, Musse zum Ausgleich und der unbedingte Wille zur Delegation von Aufgaben.

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