1986 habe ich mich selbstständig gemacht. Ich hatte eine Kundin, die dem Verein der Körperbehinderten in Esslingen vorstand. Wir sind während des Haarschneidens ins Gespräch gekommen. Ob wir uns die Ausstellung einer jungen Künstlerin vorstellen könnten, die mit den Beinen malt? Klar, warum nicht, das machen wir.
So kam unsere erste soziale Aktion zustande. Die Ausstellung lief gut, einige Besucher haben Bilder gekauft und so der jungen Künstlerin Bestätigung verschafft. Mich hat beeindruckt, wie lebendig die Bilder waren und welche positive Einstellung in ihnen sichtbar wurde.
Das ist jetzt meine amateurhafte Interpretation, das habe ich bei vielen folgenden Vernissagen wesentlich vertrackter gehört. Ich erinnere mich an eine Aussage meines Vaters – der hatte sich ab seinem 40. Geburtstag zu einem sehr, sehr guten Maler entwickelt – als er gefragt wurde, was er sich beim malen dieses Bildes gedacht hatte. „Nichts“, sagte er, „das kam einfach so.“
Damit war eine klare Aussage getroffen. Die Interpretaion der Kunstkritikerin fiel wesentlich umständlicher und unverständlicher aus. Sagenhaft, was manche Menschen in den Werken von Künstlern entdecken, die davon selber nichts wussten. Aber nun ja, jeder muss sein Geld verdienen. Die einen tun was ihnen eingegeben wird, und die anderen pumpen die Bedeutung hinein.
Richtig intensiv wurde es nach unserem Umzug in die Altstadt von Esslingen. Unter dem Salon war ein Gewölbekeller. Wir haben dort soziale Projekte in Verbindung mit Lesungen, Konzerten, Verissagen, Gedichtelesungen und Happenings gemacht, die uns regelmäßig in die Presseund den Sozialpartnern Spenden eingebracht hatten gebracht haben.
An eine ganz schräge Geschichte mit Aurelia Sonnenburg erinnere ich mich noch sehr gut. Sie war die Inhaberin eines Erotik-Shops für Frauen. Sie war sehr engagiert, sehr gesprächig und vollkommen frei von Berührungsängsten. Eine meiner Kundinnen hat derzeit erotische Gedichte verfasst, was mit dem Event sehr gut zusammen ging.
Den beiden Damen habe ich kampflos das Feld überlassen, sie durften sich im Salon bei der Ausstellung austoben. Als ich zur Eröffnung am Abend geschniegelt, gebügelt und gut gelaunt im Salon ankam wurde mir der Hals trocken. Mit allem habe ich gerechnet, aber nicht mit Stachelkissen, Dildos, Reizwäschen und Bondageutensilien.
Mir rutschte das Herz in die Hose. Niemals hätte ich mich getraut, das als Mann meinen Kundinnen zu zeigen. Scheinar war ich aber der einzige, der Bedenken hatte. Die Stimmung war entspannt und die Damen recht zwanglos in Gespräche verstrickt. An diesem Abend hatte ich sehr deutlich gelernt, dass der Wurm immer dem Fisch schmecken muss und nicht dem Angler. Fazit: Der Laden war gesteckt voll und alle hatten Spaß und für die Presse war es ein wunderbares Thema.
Das erste richtig große Sozialevent war der „Burgstäffeles-Lauf“ in Esslingen im Jahr 1997. Den Lauf haben wir für die A.M.S.E.L. Selbsthilfe bei Multipler Sklerose e.V. durchgeführt. Zu dieser Zeit war Ursula Späth, die Ehefrau des ehemaligen Ministerpräsidenten Baden-Württembergs, Lothar Späth, Vorsitzende des Vereins.
Der Zweck des Laufes war es, vom Esslinger Marktplatz aus die knapp 300 Burgstaffeln hochzurennen, den Burgplatz zu durchqueren und über die Obere Beutau wieder zum Markplatz zu kommen. Das war eine Rundstrecke von etwa 2,5 Kilometern, aber durch die steile Treppe eine Herausforderung, die es in sich hatte.
Ich nutze die Treppe heute ab und zu fürs Oberschenkeltraining und die brennen immer, egal wie regelmäßig ich die Stufen nehme. Ziel war es, ohne anzuhalten hoch zu kommen. Bei dieser ersten Ausgabe des Burgstäffeles-Lauf hatten wir 30 Starter. Dafür hatte der OB die Schirmherrschaft übernommen und damit stand die Stadt hinter uns.
Im Jahr 1998 darauf konnten wir bereits die doppelte Menge Läufer vermelden. 60 Läufer gingen an den Start. 1999 haben wir pausiert, weil ich ein neues Konzept ausgearbeitet hatte, für das ich aber Sponsoren und Hilfe bei der Organisation gebraucht habe. Lokalpolitische Unterstützung kam zusätzlich durch die FDP. Im dritten Jahr, 2000, hatten wir 120 Teilnehmer plus rund 50 Kids und ein stimmiges Konzept.
Der ursprüngliche Runde über die Treppe und den Burghof hatten wir eine Altstadtschleife angehängt, damit mehr Bewegung auf den Rathausplatz kam. Ein Schwerlastkran hielt das riesige Rundzelt, darunter stand die Bühne, auf der die schwäbischen Kultrocker von Schwoißfuaß ein Konzert gegeben haben. OB und Stadtmarketing haben dort auch die Preise vergeben.
Ich schätzte mal, dass wir laufend um die 150 bis 200 Menschen auf dem Rathausplatz zu Besuch hatten. Das gab natürlich ein riesiges Presseecho, denn einen Stadtlauf hatte es in Esslingen lange Zeit nicht mehr gegeben. Dass jetzt die Burgstaffeln einbezogen wurden hatte für die Esslinger Kult-Charakter. Für die Läufer leider nicht, weil die sich nicht vergleichen konnten. Sie Streckenführung war einfach zu speziell. Deswegen war der Lauf für normale Läufer nur bedingt interessant.
Das sollte sich im darauf folgenden Jahr als Problem erweisen, weil viele Läufer eher an längeren Strecken interessiert waren. Neben der Unterstützung des OB-Büros, des Esslinger Ordnungsamts, des Roten Kreuz kam auch die Politik ins Spiel. Die Kosten für die Organisation haben wir übernommen und aufs Marketingbudget gebucht. Die Stargelder konnten somit ohne Abzug gespendet werden konnten.
Heute ist eine solche Veranstaltung nicht mehr denkbar. Innerhalb von 20 Jahren hat sich die organisatorische Komplexität von Stadtveranstaltungen dermaßen erhöht, dass die Durchführung für ein kleines Privatunternehmen nicht mehr möglich ist. Beim ersten Durchlauf vermutete niemand, dass der Lauf so erfolgreich werden würde.
Dass wir ihn nach dem dritten Jahr einstellen mussten, war deshalb eine herbe Enttäuschung. Viele reden noch heute davon, und uns als Unternehmen hat dass regelmäßig mächtig Öffentlichkeit gebracht. Das ist auch das Credo, das ich vertrete: Beide Seiten müssen von sozialem Engagement profitieren. Es braucht dabei etwas Fingerspitzengefühl dafür, wie sich das Unternehmen in einem öffentlichkeitsverträglichen Kontext darstellt.
Ein weiterer Umzug in größere Räume in die Stadtmitte brachte auch mehr Möglichkeiten für soziale Events direkt am Salon. Der neue Salon liegt direkt am Roßmarkt, ein paar Meter von der Fußgängerzone entfernt. Dort gingen wir eine langjährige Verbindung mit dem Verein gegen sexualisierte Gewalt, Wildwasser e.V Esslingen, ein.
Kern der Aktion waren günstige Haarschnitte – preisaktive Filialisten waren noch nicht so üppig am Markt – , die wir zwischen 14 und 18 Uhr angeboten haben. Das ganze Team hat sich reingehängt und acht Jahre lang Geld für die Verein „erschnitten“. An dieser Stelle möchte ich einen nachträglichen Dank an meinen Hamburger Kollegen Willi Decker aussprechen, der während eines Besuchs bei uns einen Nachmittag lang für den guten Zweck mitgeschnitten hat.
Wir haben das Event „Roßmarkt-Benefiz“ getauft. Es wurde flankiert von Flohmärkten, Konzerten und Luftballon-Aktionen, die wir sogar bei der Flugsicherung anmelden mussten. Jedes Jahr haben wir auf einmal um die 5000 Luftballons steigen lassen, um auf sexualisierte Gewalt aufmerksam zu machen.
Die größte Einzelaktion haben wir mit der Stuttgarter Graffiti-Szene auf die Beine gebracht. Diese Kooperation hat damals mein Sohn angeschoben. Zehn 4×2 Meter große Biegesperrholzplatten dienten als Leinwände für die Sprayer. Die Graffities wurden am Ende des Tages vom OB versteigert. Dabei kamen einige Hundert Euro zusammen.
Auch hier war wieder der OB Schirmherr, der jedes Jahr den Start der Luftballons moderiert hatte. Diese Jahren waren geprägt von einem fruchtbaren Miteinander der örtlichen Händler, der Kulturszene und der Sozialvereine.
Das Roßmarkt-Benefiz hatte viel Potential, aber leider hat keines der direkt ansässigen Unternehmen mitgemacht. Oft wird von den Geschäften nur die anfallende Arbeit, aber nicht der langfristige Effekt gesehen, den ein soziales Engagement mit sich bringt.
Aber wie es so ist, hat jede Verbindung ihre Halbwertzeit. Das Roßmarkt Benefiz mussten wir einstellen, weil der Aufwand immer größer und die Spenden immer weniger wurden.
Dazu kommt, dass aktive Vereine auch ihre Netzwerke verstärken und danach schauen, dass sie von mehreren Seiten finanziert werden. Meist sind die aktiven Menschen in den Vereinen ehrenamtlich unterwegs und müssen ihr Engagement gewichten. Nach acht Jahren war es eben Zeit, das Roßmarkt-Benefiz einzustellen.
Mein Wormser Kollege und Intercoiffeur-Freund Jens Dagne ist seit 2004 für „Education for Life“ aktiv. Die deutsche gemeinnützige Charityorganisation „Intercoiffeurcharity“ veranstaltet den jährlichen Charity Golf-Cup „Play for Life“. So wird die Friseur-Berufsausbildung für Kinder aus den Slums dieser Welt unterstützt, damit sie eine Chance haben, dem Kreislauf aus Drogen, Kriminalität und Prostitution entkommen zu können.
Alle Links dazu dazu findet ihr in den Shownotes. Herzlich willkommen Jens Dagne und vielen Dank für Deinen Beitrag.
Social Marketing ist ein wichtiger Baustein im Marketing-Mix. Vor allem kleine Unternehmen können einen hohen Nutzen für ihren lokalen Bekanntheitsgrad haben. „Tue Gutes und rede darüber.“ ist ein bekannter Spruch. Ich erweitere ihn um die Worte: „Aber bitte nicht schreien.“
Leider hat uns Corona im letzten Jahr einen Riegel vorgeschoben, Events waren schlicht nicht möglich. Umso wichtiger wird es, die Aktivitäten wieder anlaufen zu lassen, wenn die Corona-Situation es uns erlaubt.
Ich zitiere aus dem Artikel „Deutlich mehr Spenden in der Pandemie“ der Stuttgarter Nachrichten vom 16.2.2021: Macht die Pandemie knauserig? Im Gegenteil, heißt es beim Deutschen Spendenrat. In Deutschland ist 2020 so viel gespendet worden wie selten zuvor.
Mit 5,4 Milliarden Euro sei das Spendenniveau im Vergleich zum Vorjahr um rund fünf Prozent gewachsen, teilte der Verband mit. „Das war nicht zu erwarten“, sagte Geschäftsführer Max Mälzer der Deutschen Presse-Agentur. Welche Gründe das hatte, erklärt Mälzer so: „Einmal hatten viele Menschen im Lockdown mehr Zeit nachzudenken und über das Leben zu reflektieren“, sagt er.
„Zum Zweiten gab es weniger Möglichkeiten, das Geld selbst auszugeben, zum Beispiel beim Essengehen, für Kleidung oder im Club.“ Die Menschen in Deutschland haben ein sehr realistisches Bewusstsein: „Vielen Menschen ist klar, dass es ihnen hier trotz Pandemie immer noch vergleichsweise gut geht.“ Sie seien bereit, abzugeben.Wenn wir mit unseren Unternehmen zum Spendenaufkommen beitragen können, sollten wir das nutzen.
Charity, Social Marketing oder soziales Engagement – wie immer ihr es nennen wollt – steht uns gut zu Gesicht.
Unternehmen, die sich sozial engagieren, haben ein positives Ansehen in der Öffentlichkeit. Über sie und ihre Aktivitäten berichtet die Presse gerne. Mit Social Marketing gewinnen beide Seiten, das Unternehmen und der Sozialpartner.
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1 Kommentar
Marga Abromeit says
24. Februar 2021
Guten Morgen Peter,
wir befinden uns im Spurt!
Sonne und Aufbruchstimmung fördern das TUN.
Schön, dass Du erinnerst.
Wie nachhaltig sich die Erinnerungen der eigenen Aktivitäten im Gedächtnis eingenistet haben.
Dabei gefällt mir das Wort Erinnerungen sehr. Als Kraftspender leisten sie viel.
Sind die Bilder Deines Vaters in Deinem Besitz.?
Vor einigen Jahren haben Horst Brunke und Bernd Pawlowski einige schöne Vernissagen organisiert.
Für die letzten Vorbereitungstage
wünsche ich Deinem Team und Dir Sonne im Herzen.
Herzlichst Marga