Heute geht es um das Thema der täglichen Routinen im Lockdown. Wir sind ja von einem Tag auf den anderen aus unserem gewohnten Ablauf gerissen worden und müssen unsere Tage mit einer alternativen Struktur versehen. Warum diese Routinen speziell im Lockdown wichtig sind möchte ich heute anhand meines eigenen Beispiels aufzeigen.
Gezielt Routinen aufbauen
Dazu möchte zuerst eine Volte knappe zehn Jahre zurück drehen. Am 1. August 2011 hatte ich einen schweren Motorradunfall mit Wirbelbrüchen, kaputter Schulter und einer komplett gestauchten linken Körperhälfte. Bei der Untersuchung im Krankenhaus war nicht klar, ob die Operation zur Stützung der Wirbel erfolgreich würde verlaufen können. Gottseidank hat alles gut geklappt, ich bin dem Rollstuhl entkommen.
Am zweiten Tag nach der OP stand morgens ein Physiotherapeut an meinem Bett, der mich aufforderte, aufzustehen und mit ihm einige Schritte zu gehen. Ich dachte, der scherzt, ich hatte das Gefühl, mein Körper würde sich vor Schmerz nie mehr bewegen lassen. Er blieb unerbittlich, und durch die Androhung eines Rollators hat er meinen Ehrgeiz angefacht.
Damit die Erzählung jetzt nicht ausartet, gehe ich zweieinhalb Jahre weiter ins Frühjahr 2013. Meine Schulter hat wieder gut funktioniert, die Schmerzen im Rücken waren akzeptabel und ich habe mich wieder an den Physiotherapeuten erinnert.
Von alleine wird’s nicht mehr
In diesem Frühjahr war mit klar: Wenn ich jetzt nicht gezielt meinen Körper wieder aufbaue werde ich zum schlurfenden alten Sack. Also habe ich begonnen, jeden Morgen Sport zu machen, außer sonntags. In der ersten Sitzung habe ich eine Liegestütze geschafft, zwei halblebige Rumpfbeugen, und für mein Schultertraining konnte ich lediglich das schwächste grüne Teraband benutzen.
Ich habe natürlich gemerkt, dass sich der Körper selber heilt. Aber eben nur bis zu einem bestimmt Grad. Diesen Heilungsprozess wollte ich unbedingt stärker unterstützen. Dafür habe ich einen Personal Trainer gebucht. Der hat mir ein Programm mit Übungen geschrieben, und mit mir jede Übung so lange trainiert, bis ich ein Gefühl für die richtige Haltung bekommen hatte.
Routinen im Lockdown
Im Lockdown ist dieses tägliche Training ein Teil meiner Tagesstruktur. Ich habe mittlerweile drei Trainingseinheiten entwickelt, die ich an sechs Tagen je zweimal pro Woche durchziehe. Montag und Donnerstag gibt es Bizeps- und Trizeps-, Oberschenkel- und Schultermuskulatur-Training am TRX-Band. Dienstag und Freitag Bauchaufzüge, Rumpfbeugen, Dips und Bizeps. Mittwoch und Samstag Liegestützen, Planks, seitliche Beinheber und Rückenstretching.
Unter dem Tag verteilt schnappe ich mir die Langhantel, die mitten im Wohnzimmer liegt. Ich führe dazu eine Strichliste und habe festgestellt, dass ich die Langhantel durchschnittlich viermal pro Tag zusätzlich hernehme. So einfach kann es sein.
Fitness-Pflicht
Zusätzlich lege ich mit meinem Kollegen und Freund Oliver Gerbert einen Pflicht-Wandertag pro Woche ein, egal ob es regnet, schneit oder der Wind uns fast vom Berg bläst. Das Training am Morgen setze ich deshalb aber nicht aus. Das Training ist an allen Tagen Pflicht, ob Urlaub oder Alltag, es ist von allen Tagesunternehmungen völlig unabhängig.
Wenn 6 Uhr aus Zeitgründen zu spät ist, dann stehe ich eben früher auf. Ausnahmen gibt es nicht. In den letzten sieben Jahren hat sich das Trainingsritual bei mir so verfestigt, dass ich gar nicht mehr darüber nachdenke, ob ich morgens eine andere Option habe. Noch niemals zuvor in meinem Leben war ich körperlich und mental so fit.
Meine Trainingsklamotten hängen beim Bett. Ich stehe auf, schlüpfe rein und trainiere. Ohne Umweg in die erste Runde. In der kurzen Pause Wasser kochen und Tee ziehen lassen. Dann die zweite Runde. Einen Schluck Tee nehmen. Dritte Runde.
Nach dem Training das Morgenmagazin anschalten, dann bin ich wach genug, um die News ertragen zu können. Was bringt es, wenn ich mir schon vor dem richtig wach sein die Informationen reinknalle? Corona, Mortalität, Lockdown, Impfprobleme und USA gibt es auch noch wenn ich wach bin.
Seltsame Automatismen
Ich frühstücke niemals, außer am Sonntag und im Urlaub. Fragt mich nicht wieso, das hat sich eben so entwickelt. Viele um mich herum denken anders darüber, und meist dauert es nicht lange, bis ich die ersten Argument bekomme, warum ich unbedingt frühstücken sollte. Ich lasse sie reden, sollen sie denken, was sie wollen, es ist nicht mein Problem.
Das hat sich einfach so ergeben, und ich komme damit sehr gut klar. Schon interessant, welche Automatismen sich so nebenher entwickeln. Was ich mache taugt für mich, einem anderen dagegen gar nicht. Aber das interessiert mich ja nicht, ich bin ja nicht der andere. Alleine wichtig ist, meinen eigenen Takt zu finden, um meine persönliche Ausgeglichenheit zu erreichen oder zu erhalten.
Ich höre zu, was andere sagen, gleiche ab, ob ich das brauchen kann, und nehme es auf oder lasse es sein. Es ist eigentlich ganz einfach, sein Ding durchzuziehen. Man darf einfach nicht zu viel auf andere hören, sonst bekommst Du keine Linie in die Tages-Routinen.
Der erste Schritt ist der wichtigste
Das Allerwichtigste ist, dass man überhaupt anfängt. Das beginnt ganz klein und vorsichtig, aber wenn man es konsequent jeden Tag immer zur selben Zeit macht, ist der wichtigste Schritt getan. Eines gar nicht fernen Tages vom ersten Schritt entfernt, nimmst man ein richtig gutes Körpergefühl und das Gefühl von mentaler Kraft wahr.
Die Investitionen einen Personal Trainer hat sich für mich ausgezahlt, weil ich keine computergesteurten Maschinen, sondern nur mich und mein Eigengewicht brauche.
Was hat das jetzt mit dem Lockdown und den täglichen Routinen zu tun? Das Training mache ich ja auch während meiner Arbeitstage. Um das Training herum habe ich im Lockdown jedoch zusätzliche, verpflichtende Routinen installiert.
Struktur-Routinen
Erstens: Niemals ungeduscht arbeiten
Zweitens: Niemals in Lümmel- oder Sportklamotten an den Rechner sitzen
Drittens: Immer zur selben Zeit aufstehe (außer Sonntag)
Viertens: Immer zur selben Zeit mit der Arbeit beginnen
Fünftens: Um 13 Uhr Mittagessen
Sechstens: Nachmittags frei verfügbar
Was im Gehirn passiert
Routinen einzuführen ist wichtig, aber auch sie zu verändern oder sie anzupassen. Der Körper bleibt ja nicht über Jahre gleich. Ein Beispiel: Ich möchte eine Routine installieren. Was passiert im Gehirn? Zuerst muss ich klar vor Augen habe, was ich verändern möchte.
Habe ich kein Ziel, komme ich nirgends an. Mit der ersten Handlung lege ich einen Pfad in meinem Gehirn an. Synapsen werden getriggert, sie legen die Informationen an. Je öfter ich eine Handlung wiederhole, desto stärker feuern die Synapsen, beziehen andere Synapsen mit ein und legen so einen immer breiteren Pfad im Gehirn an. Ob ich eine Fremdsprache oder ein Gedicht lerne, oder eine andere Routine einstudiere, das Gehirn braucht einen gewisse Zeit, um sie zu festigen.
Das funktioniert über Konzentration, Konsequenz und natürlich eine gehörige Portion Sturheit und Egoismus. Bevor meine wichtigsten Routinen nicht abgehandelt sind – in meinem Fall ist es das tägliche Fitnesstraining – gibt es keine geschäftliche Aktivität, keine familiären Verpflichtungen und Erledigung, werden keine Anweisungen angenommen, nur die Routine steht im Fokus. Deshalb: Niemals etwas or den wichtigsten Routinen einschieben!
Smartphone-freie Zeit
Das Smartphone, sonst mein sehr intensiv genutzter Begleiter ist von 19 Uhr abends bis um 8 Uhr morgen auf Nachtruhe gestellt. Nach 19 Uhr lese ich, mal kürzer, mal länger, aber wenn, dann fokussiert und konzentriert.
Informationen im Vorbeigehen aufzunehmen bringt nichts, so entwickelt sich kein Gedankenfluss. Es kommt nicht auf die Menge der Informationsaufnahme an, oder auf die Lesegeschwindigkeit, sondern darum, sich in den Text einzudenken und die Synapsen feuern zu lassen.
Passiert das nicht, ist das Thema für mich nutzlos. Was nicht heißt, das ich das Thema später wieder aufnehme. Wrong time, wrong topic! Ich quäle mich nicht durch Bücher, deren Schreibstil und Inhalt ich nicht mag. Ich kann mich dann einfach nicht mehr auf den Sinn des Textes konzentrieren.
In meiner Bibliothek stehen viele Bücher, die für mich so schrecklich nutzlos sind, die aber von anderen geliebt werden. So hat halt jeder seinen Ansatz, aber wenn meinem Mitmenschen etwas gefällt muss ich das nicht automatisch auch gut finden. Und selbstverständlich gilt das auch vice versa.
Cooles Sport-Styling
Heute Morgen habe ich TikTok geschaut und viele perfekte Ärsche in hautengen Sportklamotten gesehen. Perfekt in Szene gesetzt und dem gängigen Publikumsgeschmack angepasst. Ich habe eine ausgeleierte Trainingshose an, ein schlabbriges T-Shirt mit dem ich keinen Schönheitspreis gewinne und meine Woll-Hausschuhe, weil die eine rutschfest Sohle haben.
Der ganze Mist mit angesagten Klamotten, coolen Schuhen und elektronischen Devices nervt mich. Den ersten Schritt zu einer sportlichen Routine kannst Du auch im Kartoffelsack machen. Hauptsache ist, Du machst es!
Gedichte-Routine
Ihr könnt natürlich gerne darüber lachen, aber gedanklichen Ausgleich schaffe ich mit dem auswendig lernen von Gedichten. Wer die geschrieben hat ist dabei nicht ganz so wichtig, das Thema muss mich emotional packen.
Wenn ich nachts aufwache und meine Gedanken, speziell im Lockdown, auf Wanderschaft gehen, rezitiere ich im Stillen meine Gedichte. Dazu habe ich mir gedankliche Ordner angelegt. Die heißen: 1. Erich Kästner, 2. Goethe, 3. Morgenstern, 4. Diverse und 5. Songtexte.
Habt ich euch schon einmal mit Memo-Techniken beschäftigt? Dann werdet ihr Gregor Staub vielleicht kennen. Nach dem Studium seiner Technik habe ich mit den Gedichten begonnen und es funktioniert super. Auch zu Gregor Staub findet ihr einen Link in den Shownotes.
Lockdown-Blues
Unsere Gesellschaft steht derzeit unter Strom. Vielen Unternehmern droht das Aus, viele Menschen werden ihre Arbeit verlieren und wahrscheinlich wird es viele Jahre dauern, bis wir wieder eine kulturell potente Szene haben werden.
Ich habe mir mittlerweile die Mutmaßung über die Zukunft versagt. Es kommt wie es kommt, wir werden wenig daran ändern können. Das heißt nicht, dass ich mir keine Gedanken um die Zukunft mache. Aber: Wenn ich mit dem Auto im dichten Nebel unterwegs bin, dann fahre ich halt etwas langsamer. Wenn ich die Strecke nicht kenne macht es keinen Sinn, sich Gedanken darüber zu machen, wie viele Kurven noch kommen und wieviele Abzweigungen wohl auf mich warten. Ich weiß es einfach nicht, ich kann nur raten und weiter fahren.
Persönlicher Lockdown
Für meine persönliche ist der Lockdown fast ein Segen. Wäre der wirtschaftliche Druck nicht, würde ich jauchzen, denn noch nie in meinem Arbeitsleben hatte ich so viel Zeit, um mich mit anderen interessanten Dingen zu beschäftigen. Das Perückenstudio wächst, der Podcast ist endlich draußen, die Live-Video-Shopping Software ist auf der Webseite integriert.
Ich habe viel über iMovie, Garageband, Aufnahmetechnik von Video und Ton gelernt und ich lerne immer weiter. Das langsame Voranschreiten und das tiefe Lernen unterliegt auch Routinen.
Ich habe verstanden, dass Leben ein immer währender Prozess ist. Ich werde nie fertig, ich bin immer im Entwicklungszustand. Heute noch ich, morgen ein Unbekannter. Ich bewege mich, lerne, wäge ab und handle jede Sekunde auf einer neuen Wissens- und Erfahrungsbasis. Das ist doch super. Ich muss bloss denken und schon verändere ich mich. Einfacher geht Veränderung nicht. Ich kann es gar nicht aufhalten, das passiert automatisch.
Routinen sind das Mittel dazu, sich von blossen Wunschgedanken zu lösen und tatsächlich etwas umzusetzen. Ob das mehr Sport ist, weniger Alkohol trinken oder sich mehr um Frau oder Mann oder Kinder zu kümmern, ist völlig egal. Es geht um das, was ich wir wirklich wollen. Wir kennen ja alle das jährliche Ritual an Silvester, was wir im nächsten Jahr alles tun werden. Am Ende des Jahres nehmen wir uns wieder Neues vor, obwohl wir das Alte noch gar nicht in Angriff genommen haben.
Dein Podcast macht Spass, und erreicht mich an einigen Stellen meines Denkens.
Deine erzählten Erfahrungen geben mir Sicherheit, meinen eigenen Weg weiter zu gehen.
Und das ist ein Geschenk.
Liebe Marga, das freut mich sehr. Ich glaube, dass wir mit unseren Gedanken sowieso nicht so weit auseinanderliegen. Ich mag die Ausarbeitung der Themen für den Podcast, der Ablauf hat mittlerweile schon eine gute Struktur bekommen. Ich bleibe dran.